Produktkonfiguration Durchgängige Datennutzung zwischen Konstruktion und Produktion

Ein Gastbeitrag von Bettina Berlet und Patrick Kalisch

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Schaeffler zeigt, wie Digitalisierung und Systemvernetzung die Zeichnung als Hauptquelle für produktbeschreibende Daten ablösen kann. Das Ziel ist klar: die Einführung eines standardisierten und durchgängigen Datenmodells. Das reduziert das manuelle und zeitintensive Übertragen von Produktdaten in die Fertigung sowie die Qualitätssicherung.

Zeichnungen als primäres Medium zur Übertragung von Produktgeometrien sowie Form- und Lagetoleranzen werden künftig immer weniger benötigt.
Zeichnungen als primäres Medium zur Übertragung von Produktgeometrien sowie Form- und Lagetoleranzen werden künftig immer weniger benötigt.
(Bild: Schaeffler)

Beim Einsatz von durchgängigen EDV-Lösungen in der Industrie klaffen Anspruch und Realität nach wie vor noch auseinander. So auch bei der Übertragung von Daten aus 3D-Modellen und technischen Zeichnungen in andere Systeme und Abteilungen, wie beispielsweise in die Arbeitsvorbereitung, Fertigungsumgebung und die Qualitätssicherung. Um Produktdaten unternehmensweit und schnell verfügbar zu machen, gehen Unternehmen häufig einen pragmatischen, aber ineffizienten Weg: Zeichnungen werden entweder eingescannt oder zumindest als direkter digitaler Druck in Form von PDF- oder TIFF-Formaten abgespeichert – mit weitreichenden Folgen.

Digital ist nicht gleich maschinenlesbar

Digitalisierte Zeichnungen teilen mit der Papierversion das gleiche Kernproblem: Die Informationen müssen von einem Menschen erfasst und anschließend manuell beispielsweise in Fertigungssysteme übertragen werden. Dies führt dazu, dass Prozesse immer noch primär vom Menschen getrieben und umgesetzt werden müssen. „Die Zeichnung wird bis heute vornehmlich als Quellautorität verwendet, also als oberste Instanz und Hauptquelle für Geometriedaten und Herstellungsinformationen. Daraus resultieren die bekannten Probleme beim Übertragen von Daten aus der Zeichnung – sei es in Papierform oder digitalisiert. Genau diesen Punkt will man mit der Digitalisierung verbessern, nämlich Prozesse automatisieren und autonom ablaufen lassen“, berichtet Jakob Müller, Quality Planning & Technology Industrial bei Schaeffler, über die derzeitige Situation in der Industrie.

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Datenzwilling als Quellautorität

Auch bei Schaeffler, einem Experten auf dem Gebiet der Fertigung von Bauteilen für komplexe mechanische und mechatronische Systeme, ist dieses Problem bekannt. Für die Herstellung von Wälzlagern, das Kerngeschäft des Unternehmens, existieren viele Tausend Zeichnungen, die den Weg vom Rohling bis zum fertigen Lager technisch beschreiben.

Ein neuer Ansatz in der Konstruktion ermöglichte schließlich den Durchbruch: Bei Schaeffler werden Zeichnungen von Wälzlagern mithilfe von Produktkonfiguratoren automatisiert erzeugt. Bei diesem Vorgang entstehen strukturierte Datensätze. Standards, wie z. B. Produktgeometrie, Form- und Lagetoleranzen, werden so automatisiert erzeugt und müssen nicht mehr von Hand „konstruiert“ werden. Detailänderungen für ganze Baureihen sind damit zentral und effizient zu erledigen. Es handelt sich hier also um einen standardisierten und globalen Ansatz, bei dem von Beginn an die Produktdaten im Vordergrund stehen. Ein einziger Datensatz mit den dazugehörigen Komponenten enthält viele Hunderttausend Werte, die das Wälzlager, bestehend aus Lagerringen, Wälzkörpern und ggf. Käfig, bis ins kleinste Detail beschreiben – inklusive aller Fertigungsinformationen. Auch kundenspezifische Lager können vom Konstrukteur als Datensatz angelegt werden.

Diesen Nutzen hat man auch bei Schaeffler am Standort Schweinfurt, einem strategischen Produktionsstandort der Industriedivision, erkannt. Nachdem die Produktionsleistung in den letzten Jahren am Standort stetig gestiegen ist und nun nochmals verstärkt ausgebaut wird, haben Lösungen, die manuelle Übertragungsschritte reduzieren und so Kosten einsparen, einen großen Skalierungseffekt. Im Folgenden stellen wir die am Standort Schweinfurt aktuell eingeführten Aktivitäten vor. Die dort erarbeiteten technischen Lösungen sind dazu geeignet, auch in globale technologische Standards des Unternehmens überführt zu werden.

Durchgängige Datennutzung bis zur automatisierten Fertigung

Die Schnittstelle, mit der aus den genannten Datensätzen die relevanten Fertigungsdaten direkt in die CNC-Programme transferiert werden können, befindet sich bei Schaeffler kurz vor der Fertigstellung. Mit dieser Schnittstelle als letztem Glied in der Informationskette zwischen Konstrukteur und Fertigungsumgebung werden die manuelle Datenübertragung und „das Papier“ mehr und mehr obsolet. Zugleich werden Fehler bei der Übertragung verhindert und Aufwände eingespart. Es genügt nun, einen Datensatz aufzurufen und an das Zielsystem zu übertragen. So können CNC-Programme für Bearbeitungsgeometrien in verschiedenen Herstellungsstadien, wie Rohteil, Weich- und Hartdrehteil oder Schleifteil direkt anhand von maschinenverarbeitbaren Daten erzeugt werden.

„Die Produktdaten-Schnittstelle ist ein ‚Single Point of Truth‘. Es gibt keine redundante oder inkonsistente Datenhaltung. Stattdessen gibt es nur noch eine Datenquelle, aus der per standardisierte Schnittstelle sämtliche Systeme bedient werden können. Dies ermöglicht es uns nun auch, die produktspezifischen Vorgabewerte mittels Maschinenkonnektierung direkt in den Steuerungs-PC der Produktionsanlage zu übermitteln“, erklärt Eduard Keil, Leiter Digitalization & Operations IT Campus Schweinfurt. „Zudem bildet es eine gute Grundlage für zukünftige Vorhaben, wie z. B. die selbstrüstende Maschine, was einen wichtigen Meilenstein zur Maschine 4.0 darstellt.“

Anwendungsfall – generische Drehgeometrien

Das Erstellen eines CNC-Programmes für eine Drehgeometrie ist ein sehr weit verbreiteter und hoch skalierbarer Anwendungsfall, weshalb hier ein Beispiel aus der Schaeffler-Großlagerfertigung am Standort Schweinfurt näher ausgeführt werden soll. Dort erzeugen die Mitarbeiter pro Jahr mehrere Hundert neuer Fertigungsprogramme für CNC-Drehmaschinen.

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Das manuelle Eingeben von Produktparametern an der zerspanenden Maschine vor Ort in der Fertigung wird durch die Digitalisierung künftig entfallen.
Das manuelle Eingeben von Produktparametern an der zerspanenden Maschine vor Ort in der Fertigung wird durch die Digitalisierung künftig entfallen.
(Bild: Schaeffler (Jeibmann Photographik))

Durchschnittlich wird pro CNC-Programm bei manueller Eingabe mehr als eine Stunde benötigt, durch die automatische Datenübertragung reduziert sich der Aufwand auf wenige Minuten. So lassen sich schnell mehrere Zehntausend Euro pro Jahr und Fertigungsbereich einsparen und die Mitarbeiter können sich wertschöpfenden Tätigkeiten widmen.

Durch die Skalierbarkeit dieses Anwendungsfalles auf Tausende Wälzlagervarianten und deren Herstellprozesse an verschiedenen Produktionsstandorten ist das jährliche Einsparpotenzial beträchtlich. „Gerade im Industrieumfeld mit seiner hohen Volatilität und Typenvielfalt ist der Aufwand von Produktänderungen oder Maschinenwechseln in der Maschinenprogrammierung enorm. Diesen Aufwand zu minimieren könnte sich als Meilenstein hin zu einer flexibleren Supply Chain und damit Agilität zum Markt erweisen“, sagt Herr Andreas Rimmele, Leiter Industrial Engineeringsam Standort Schweinfurt. Dies hilft wichtigen Schaeffler-Standorten strategisch, um in entscheidenden Bereichen wie Fertigungsgeschwindigkeit und Herstellkosten wettbewerbsfähig zu bleiben.

Anwendungsfall – maschinengestützte Qualitätssicherung

Blick in die Großlagerfertigung bei Schaeffler. Eine Zeichnung an einem Magnethalter benötigt der Mitarbeiter für seine Aufgaben nicht mehr.
Blick in die Großlagerfertigung bei Schaeffler. Eine Zeichnung an einem Magnethalter benötigt der Mitarbeiter für seine Aufgaben nicht mehr.
(Bild: Schaeffler)

Die Verfügbarkeit von maschinenverarbeitbaren Daten bietet zahlreiche skalierbare Effekte für weitere Automatisierungen und Qualitätsverbesserung in den Unternehmen. So wurden beispielsweise bei Schaeffler für die Programmierung von Messmaschinen bisher Zeichnungen verwendet. Die Übertragung von Geometrien und Toleranzen erfolgte also manuell durch Mitarbeiter in der Qualitätssicherung. Zukünftig werden diese Informationen als Datensätze importiert, die für die Maschinen wesentlich einfacher und schneller zu verarbeiten sind. So können, ähnlich wie bei der Erstellung von CNC-Programmen für Bearbeitungsmaschinen, Übertragungsaufwände reduziert und die Datenqualität verbessert werden.

Lösungen wie diese modernisieren qualitätssichernde Prozesse und unterstützen ebenfalls die Digitalisierung im Fertigungsumfeld. Peter Liebhardt, verantwortlicher Leiter der Qualitätsplanung und Technologie der Industriedivision bei Schaeffler, sieht das ähnlich. „Ohne maschinenlesbare Daten über die gesamte Wertschöpfungskette wird die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens nicht weiter funktionieren. Durchgängigkeit in der digitalen Datennutzung vom Lieferanten bis zum Endkunden ist essenziell. Erst dadurch werden komplette Prozessketten effizient gesteuert. Die Vorteile werden somit auch den Lieferanten und den Kunden zur Verfügung stehen. Nur mit digitalen Konstruktionsdaten lassen sich im Qualitätsbereich CAQ-Lösungen vollumfänglich umsetzen.“

Bei aller Digitalisierung bleibt aber eine Konstante bestehen: Die Zeichnung verliert bei der beschriebenen Lösung nicht ihre haftungsrechtliche Bedeutung gegenüber Kunden und Lieferanten. Sie wird lediglich für Wälzlagerprodukte aus ihrem vorhergehenden Datensatz, dem „digitalen Produktdaten-Zwilling“, generiert. n

* Bettina Berlet ist Leiterin R&D System Integration bei Schaeffler, Patrick Kalisch ist Leiter Wälzlagerproduktdaten bei Schaeffler

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